Ein Gang durch Hildburghausen
Prof. Dr. Karl Pusch
Der Fremde, der mit der Eisenbahn in Hildburghausen ankommt, muss erst die recht einfach gehaltene Bahnhofstraße und einen Teil der links abbiegenden Bernhardstraße durchschreiten, ehe er zu bedeutenderen Bauten gelangt. Sein Blick wird bald gefesselt durch den „Burghof“, einen Gasthof, dessen Äußeres durch seine modernste Gotik auffällt. Leider sind die Räume der ungünstigen Zeit wegen schon lange geschlossen. Auch im Inneren bietet das Gebäude viel Schönes, u. a. einen stimmungsvollen Saal mit einem großen Wandgemälde, dass die Ankunft der Prinzessin Margareta von Braunschweig-Lüneburg am Fuß der Veste Heldburg und den Empfang durch den Herzog Johann Casimir, ihren Verlobten, darstellt. Die Vermählung fand am 14. und 15. September 1599 auf diesem Schlosse in Anwesenheit vieler Fürstlichkeiten und Adligen statt. Dicht am Burghof überschreiten wir die Werra auf einer alten Steinbrücke. Zur Linken sehen wir eine Martersäule, auf der Christus neben seiner Mutter, dem Jünger Johannes und zur Seite zwei Bischöfe, angeblich Kilian und Burchard, dargestellt sind. Sie befand sich früher an dem Steinsteg, den man in katholischer Zeit von der Stadt aus beschritt, um nach der Niklaskirche, auf dem heutigen Bahnhofsgelände, und zur Ottilienkapelle auf dem Questenberg, heute Häselriether Berg, zu pilgern. Auf dem jetzt vor uns ansteigenden Hirschplatz sehen wir zur Linken ein Haus mit großem Tor vom Jahre 1614 („Gasthaus zur Post“) und geradeaus das sogenannte Hoheitshaus mit schönem schmiedeeisernen Rokokogeländer. Dieses Haus hatte die Prinzessin Paul von Württemberg, eine Tochter Herzog Friedrichs, von 1829 – 1847 bewohnt, eine Wohltäterin der Stadt, die wegen ihrer edlen Gesinnung sehr beliebt war.
Wir treten nun in die Untere Marktstraße ein. Das geschah ehemals durch ein Tor mit hohem Turm, das früher zwischen der „Bank von Thüringen“ und dem „Café Lammert“ stand. Die Straße verläuft nicht geradlinig, sondern sanft geschwungen, so dass wir erst etwa fünfundzwanzig Schritt vor ihrem Ende den größeren Teil des Marktplatzes mit dem altertümlichen Rathaus überblicken. Die Lage des Rathauses ist bewundernswert: Es schließt den Markt von Osten ab und steht doch ganz frei da. Der Marktplatz ist, das kann man sagen, ohne sich lolkalpatriotischer Übertreibung schuldig zu machen, eine höchst gelungene Anlage. Länge, Breite und Geschlossenheit müssen jedem gefallen, der Sinn für harmonische Raumverteilung besitzt.
Wir umgehen den Markt auf dem Bürgersteig im Norden. Da sehen wir eine recht sonderbare Vertröpfung der nordwestlichen Ecke beim „Café Funk“; mir scheint, das Bedürfnis nach Licht und Lust hat diese Bauweise eingegeben. An der „Garküche“ erfreut uns ein Torbogen mit gotischem Biergarten, daneben am „Gasthaus zur Sonne“ eine schäbige Haustür, über der wir die Jahreszahl 1599 sehen. Zu beiden Seiten der Hauseingänge der „Garküche“ und der „Sonne“ sind aus früherer, beschaulicherer Zeit noch die Konsolen erhalten geblieben, auf denen man mit dem Nachbarn oder der Nachbarin ein Schwätzchen hielt. Das Eckhaus der Apothekergasse, die links abzweigt, zeigt hübschen Rokokostuck; in die vielen Ornamente sind nach uralter germanischer Sitte eine große Anzahl von Tieren, in der Hauptsache Vögel, verschlungen. Ihm gegenüber steht nur durch die schmale Apothekergasse getrennt, die Stadtapotheke, von der gesagt wird, dass sie ehemals ein Kloster oder ein klösterliches Vorratshaus gewesen sei. Links von der Haustür der Apotheke ist die Jahreszahl 1630 zu sehen, die aber wohl nur die Zeit eines Umbaues angibt, denn das Gebäude ist viel älter. Es soll von seinem Keller ein unterirdischer Gang nach dem Kloster Veilsdorf bestanden haben, was aber wohl in das Reich der Fabel zu verweisen sein dürfte.
Nach ein paar Schritten stehen wir vor dem Rathaus, dem ältesten und ehrwürdigsten Gebäude Hildburghausens. Es hat einen Renaissancegiebel nach Süden und in diesem Stil gehaltene Fenster. Den Aufgang zu den oberen Stockwerken finden wir in einem Turm an der Westseite. Unten am Turm steht eine uralte Steinbank und darüber ist ein Eisen in die Wand eingelassen. Die Bank diente als Pranger, an dem Eisen hing der bestrafte Missetäter. Lästermäuler, die man dort dem Spott der Menge preisgab, gibt es ja nicht mehr, deshalb brauchen wir in unserer so hochstehenden Zeit auch solche Strafmittel nicht mehr. An der Spitze des Turmes hängt eine Glocke, das sogenannte Spinnglöckchen, die von Michaelis bis Mittfasten abends 8 Uhr geläutet wird, der Sage nach ein Brauch, den eine Gräfin durch eine Stiftung einführte, als sie, verirrt im Wald, durch diese Glocke den Weg zur Stadt zurückgefunden hatte. Es wurden auch säumige Wähler an Wahltagen durch diese Glocke an die Pflicht erinnert. Auf der Spitze des Turmes, ebenso auch auf der Spitze des Südgiebels bewahren wir einen Löwen, das Stadt-Wappentier, der ein Schild trägt. Hoch über dem roten Ziegeldach erhebt sich ein Aufbau mit Glockentürmchen und Uhr. Hier hat bis vor wenigen Jahren der Türmer gewohnt. Er hatte die Pflicht, die Stunden der Nacht durch ein Horn zu verkünden und bei Ausbruch einer Feuersbrunst durch Anschlagen der Glocke über der Uhr die Bürger zur Löscharbeit herbeizurufen. In alter Zeit hatte der Türmer auch heranziehende Gewitter anzublasen. Es ist freilich kein Fall bekannt geworden, in dem ein Gewitter sich durch tiefes Blasen hätte abhalten lassen, auszubrechen. Rechts neben dem Eingang zum Treppenturm sehen wir einen zugemauerten Torbogen, über dem elf Wappenschildchen in sauberer Steinmetzarbeit entweder die Gewerbe der Stadt darstellen oder an bedeutende Familien erinnern sollen. Darüber sind zwei Wappen eingemeißelt: links das sächsische und rechts das Stadtwappen mit den vier Löwen, das links von einem Mann, rechts von einer weiblichen Gestalt gehalten wird mit der Inschrift:
Ach Frewlein Zartt
Halt vest und hartt. -
Ob ich ein Frew-
lein wiltt
So weich ich doch nicht
von diesem schilt.
Der Torbogen, an dem rechts ein eisernes Ellenmaß eingelassen ist, war früher offen und führte früher in die Marktlaube, die in die Obere Marktstraße mündete. Die Laube diente dem Verkauf von Brot und Fleisch. Ein auf der Südseite noch sichtbarer, aber vermauerter Torbogen trägt rechts die Jahreszahl 1511. Zu dieser Zeit fand ein Umbau statt. Den Schmuckbrunnen vor dem Rathaus dürfen wir auch nicht vergessen, den ein alter Hildburghäuser durch den berühmten Bildhauer Hildebrand hat erbauen lassen und der Stadt zum Geschenk gemacht hat.
Er trägt über der Mitte in Flachrelief das wohl gelungene Bildnis unseres unvergesslichen Herzogs Georg II. Die Südseite des Marktes wird von dem „Regierungsgebäude“ beherrscht, das jetzt die Kreisdirektion und das Amtsgericht beherbergt. Im Innern führt eine vornehm angelegte Treppe über einen reichverzierten Flur im Rokokostil. Auch die Zimmer sind so gehalten, jetzt aber amtsstubenmäßig verunstaltet.
Etwa in der Mitte der südlichen Marktseite als Eckhaus an dem Hofbüttnersgässchen steht die „Fränkische Leuchte“, ein Gasthaus mit der Jahreszahl 1551 und der Inschrift WCZB, darunter zwei gekreuzte Ellen, wie ein Altertumskenner meint, also wohl früher einmal das Haus eines ehrsamen Schneidermeisters. An dem daneben stehenden „Gasthof Zum Braunen Roß“ bemerkt man einen Stein mit der Zahl 1780. „Das Brune Roß“ war das letzte der Markthäuser, das dem großen Brand von 1779 zum Opfer fiel. An der Kesselring’schen Hofbuchhandlung vorüber kommt man jetzt zum „Englischen Hof“, der 1780 erbaut worden ist und schon viele berühmte Gäste, darunter auch den geheimnisvollen „Dunkelgrafen“ durch sein großes Tor eingelassen hat.
Biegen wir um die Ecke beim Dresselschen Haus mit seinem schönen Eingangsportal, dann sehen wir die Obere Marktstraße entlang. Sie ist im Jahr 1780, ein Jahr nach dem großen Brand, entstanden, und zwar nach einer Bauordnung, die drei Stockwerke und gleiche Giebelhöhe vorschrieb. An einer größeren Anzahl dieser Häuser ist auch noch der alte im Zopfstil gehaltene Putz erhalten. Die Jahreszahl 1780 ist über vielen Haustüren zu sehen. Bei anderen ist sie dadurch verschwunden, dass man die Toreingänge beseitigt hat, um Raum für Läden zu gewinnen. Das Haus Nummer 6 trägt folgende Inschrift: „1715 neu erbaut, 1725 abgebrannt, 1726 wieder neuerbaut von Friedrich Möring, 1779 den 19. August wieder abgebrannt, 1780 neuerbaut von Johann Nicol Mauer.“
Besonders in die Augen fällt das hohe Gebäude an der Ecke. Eine lateinische Inschrift über dem schön geschnitzten Tor verkündet, dass dieses Haus unter dem Schutz des Herzogs Ernst Friedrich III. Carl auf dem Gelände von drei Grundstücken nach dem großen Brand von 1779 von dem Geheimen Rat und Kanzler Joh. Christoph Brunnquell im Jahre 1780 errichtet worden ist. Es lohnt sich, das prächtig angelegte Treppenhaus anzusehen. Als im Jahre 1783 der junge Herzog von York, der letzte protestantische Fürstbischof von Osnabrück, ein Sohn des Königs Georg III. von Großbritannien und Irland, den Hildburghäuser Hof besuchte, wollte er durchaus nicht am Schloss absteigen. Prinz Joseph, der damals Regent für den unmündigen Herzog Friedrich war, wusste Rat. Er ließ das Brunnquell’sche Haus mit einem Wirtshausschild mit der Aufschrift „Gasthaus zum Hof von Engeland“ versehen, erschien selbst in dem Kostüm eines Gastwirts und wies dem hohen Gast die Zimmer an. Dieses Schild erhielt dann das danach benannte „Gasthaus zum Englischen Hof“, das also seinen Namen jenem fürstlichen Besuch verdankt. Das Brunnquell’sche Haus ist von 1828 – 1874 der Sitz des weltberühmten Bibliographischen Instituts von Joseph Meyer gewesen und 1879 an das Technikum überwiesen worden, das aber nach Aufhebung der Bauschule nur noch das Gebäude in der Helenenstraße benutzt.
Einen altehrwürdigen Platz betreten wir jetzt, wenn wir um die Ecke biegen: den Kirchplatz mit der Christuskirche, die an der Stelle der alten Lorenzkirche nach dem großen Brand erbaut wurde. Der Haupteingang mit korinthischen Säulen ist nach Ansicht des Herrn Oberbaurat Fritze eine Nachbildung des Portals des Pariser Invalidendoms und wird gekrönt von einem vergoldeten Christuskopf in Flachrelief. Sehr stattlich, namentlich von weitem, nimmt sich an der Ostseite der Turm mit seinem barocken Haubendach aus. Im Innern wird der Besucher überrascht durch die Höhe und Weite des Raumes. Man tritt zunächst unter eine hohe Kuppel, die aber von außen nicht sichtbar ist. In der Mitte der Kuppel hängt ein schwerer Kronleuchter herab, der aus der ehemaligen Schlosskirche „Zum Heiligen Geist“ stammt. Nach Westen zu wird der Raum unter der Kuppel in der Höhe der ersten Empore durch den früheren Herzogstand mit Glasfenstern abgeschlossen. Die Bauart ist von mancher Seite heftig getadelt worden. Man hat in früherer Zeit Zopfigkeit vorgeworfen, aber seitdem im Innern die Säulen und Pilaster sowie die Stuckteile der Wände und Decken farbig behandelt sind und die Fenster durch Glasmalerei ein wohltuendes Licht verbreiten, muss zugestanden werden, dass diese Stätte der Gottesverehrung mit ihrer vom Rokoko zum Empire übergehenden Ausgestaltung einen durchaus guten Eindruck macht. Und neuere Kunstkenner haben denn auch ein ganz anderes, günstigeres Urteil gefällt als die früheren.
Aus dem Hauptportal herausgekommen, sehen wir vor uns ein Haus, an dem eine Tafel besagt, dass hier der Komponist Carl Maria v. Weber 1796/97 gewohnt hat. Wir biegen rechts um die Bürgerschule, deren Ostwand auf der alten Stadtmauer ruht. Zwischen dieser und der westlichen Giebelwand der Vereinsbank hat ehemals das Obere Tor, überragt von einem Turm, gestanden. Gehen wir nach Osten weiter, dann befinden wir uns also außerhalb der alten Stadt.
Wir kommen bald auf den Marienplatz, auf dem sechs Straßen zusammenstoßen. Ein runder Brunnen, aus einem einzigen Stein gefertigt, ergießt sein Wasser aus zwei Röhren in das geräumige Becken.
Schon in früherer Zeit waren vor dem Oberen wie vor dem Unteren Tor Häuser entstanden, so an dieser Stelle das „Gasthaus zum Schwan“ und das Haus auf derselben Straßenseite an der tiefsten Stelle der vor uns liegenden Senkung. Das letztere trägt rechts am Torbogen die Jahreszahl 1593 über einer Figur, die als Brezel angesprochen worden ist. Das Bäckerhandwerk scheint von altersher darin betrieben worden zu sein. Schräg gegenüber liegt in der Tiefe der Kapellbrunnen, der aus zwei Röhren in stets gleicher Stärke ein vorzügliches Trinkwasser spendet. Es ist dies der einzige Stadtbrunnen, der auf der rechten Seite der Werra kalkhaltiges Wasser liefert.
Wenn wir unsere Wanderung ostwärts weiter verfolgen wollten, würden wir zum Kapellplatz, so genannt nach einer Kapelle, die auf dem freien Platz rechts gestanden hat, und nach einigen hundert Metern zur Irrenheil- und Pflegeanstalt gelangen, die ein stattliches Hauptgebäude, viele einzelne Häuser und einen schönen Park umfasst.
Wir kehren aber zum westlichen Ende des Marienplatzes zurück und wenden uns nach rechts. Nach ein paar Schritten erheblicher Steigung sind wir auf der mit Linden bepflanzten Allee. Sie ist in alter Zeit der Wall gewesen, der zwischen zwei Gräben um die Stadtmauer, wenigstens in ihrem nördlichen Teil, herumlief. Die Gärten links und rechts sind im Lauf der Zeit durch Ausfüllen mit Schutt, so besonders mit dem von 1779, entstanden. Gleich beim Betreten der Allee gewahren wir Reste der alten Stadtbefestigung, zuerst einen alten Turm, der heute noch bewohnt wird. Weiter schreitend, sehen wir in wenig erfreulichen Kellerbauten der Aktienbrauerei kommen wir wieder an einem Turm und einem Mauerrest vorüber. Von da ab ist auf einer längeren Strecke von der alten Mauer nichts mehr zu sehen. Erst an der Bismarckstraße steht wieder ein Stück Stadtmauer mit einem Turm. Mit dem dahinter stehenden Haus ist er durch eine Toreinfahrt verbunden, die einen malerischen Blick auf eine ganze Zeile von kleinen Häusern an dem alten inneren Umgang der Stadtmauer bietet. Vor der Stadtmauer steht das 1870 errichtete Kriegerdenkmal, ein Obelisk, dem man zu beiden Seiten zwei erbeutete französische Geschütze aufgestellt hat. Gegenüber das Gebäude der Bismarckstraße Nr. 1 hat von 1807 – 1810 den Dunkelgrafen zum Bewohner gehabt, in herzoglicher Zeit hat es als „Gasthof zur Traube“ auch fürstliche Gäste gesehen. Dieses Haus hat eine schöne geschnitzte Tür aus Eiche, dem ursprünglich dem Schlösschen Monbijou auf der Münze gehörte. Die Haustür der Sendelbach’schen Wirtschaft auf der Oberen Allee ist eine zweite von jenem Schlösschen. Sie zeigt auf der mittleren Tafel das sächsische Wappen, während die vorerwähnte Tür das Erbach’sche Wappen führt.
Nach Norden zu haben wir nun die von Herzog Ernst im Jahre 1710 ins Leben gerufene Kolonie Neustadt vor uns, die von französischen Réfugiés, aber auch von Deutschen in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erbaut wurde, eine freundliche Straße von lauter ursprünglich zweistöckigen Häusern mit gleicher Giebelhöhe, die im Norden rechts der Apostelkirche, links vom jetzigen Kreiskrankenhaus, das im Jahre 1716 gebaut und ursprünglich Waisenhaus war, einen gewissen Abschluss erhält. Darüber hinaus steht links das 1722 erbaute Pfarrhaus und auf der Schleusinger Straße weiter wandernd, kommen wir bald zum Friedhof mit dem alten Grabdenkmal der letzten Herzogin von Hildburghausen, Charlotte. Auf einem kreisrunden Hügel ruht, von vier riesigen eiförmigen Steinen getragen, ein gusseiserner Würfel. Ein hoher Kandelaber steigt von dem Würfel auf und trägt oben eine Schale, aus der eine vergoldete Flamme emporlodert.
Die Apostelkirche in edlem, wenn auch etwas nüchternem, klassischem Stil, fällt durch ihren wuchtigen Turm auf. Links einwärts durch die Friedrichstraße kommen wir an die jetzige katholische Kirche, die als reformierte Kirche für die französischen Kolonisten in den Jahren 1721 – 1722 erbaut worden war. Im Grundriss bildet sie die Gestalt eines in die Länge gezogenen Achtecks und hat ein frisches, mit glücklicher Hand aufgesetztes Glockentürmchen als Dachreiter.
Nach wenigen Schritten sind wir in der Georgstraße, wo ein roter Backsteinbau vor uns auftaucht. Es ist das Gymnasium Georgianum, eine liebe Stätte der Erinnerung für viele angesehene und bedeutende Männer Thüringens und ganz Deutschlands. Da Hildburghausen die Stadt der Schulen ist, steht 100 Schritte davon ein zweites Schulgebäude, das Seminar.
An dem Gebäude der 1818 gegründeten „Dorfzeitung“ vorbei gehen wir nun die Allee hinunter nach der Westecke des ehemaligen Schlosses, das noch mit einem Rest der alten Stadtmauer verbunden ist. Nach ein paar Schritten erreichen wir die Südfront des stattlichen Baues, von dem Hönns Sachsen-Coburgische Chronik, neu herausgegeben von Dotzauer, Coburg 1792, sagt: „Von außen ist es durchaus ohne allen Schmuck, schlicht, und durch den Pinsel der Zeit beinahe schwarzgrau geworden, aber eben diese erhabene Simplizität überrascht“. Links von dem stattlichen Portal kündet eine Tafel, dass der Dichter Jean Paul Gast des letzten Herzogs von Hildburghausen gewesen ist. Dem Portal gegenüber führt der Weg über eine eiserne Brücke in den Irrgarten, den ehemaligen Schlossgarten; eine stattliche Anlage mit alten, hohen Bäumen und einem freien Platz, der, solange das Schloss als Kaserne diente, Exerzierplatz war und jetzt Sportplatz ist. Ganz von grünem Gebüsch umgeben ist hier das Denkmal der Königin Luise, das der letzte Herzog von Hildburghausen und seine Gemahlin Charlotte, die Schwester der Königin Luise, im Jahre 1815 haben errichten lassen, zu sehen. Es ist ein großer Sandsteinwürfel mit Empireschmuck, der auf der Westseite den Kopf der Königin Luise auf einer Marmorplatte zeigt und auf der Ostseite in deutschem Distichon die unvergessliche Frau rühmt. Auf dem eingeschlagenen Weg kommen wir zu einer Brücke, die uns auf eine prächtige, alte Allee führt, die sogenannte Seufzerallee. Woher sie ihren seltsamen Namen hat, darüber streiten sich noch die Gelehrten – vielleicht von den empfindsamen Seufzern der galanten Kavaliere und Rokokodamen des Hofes? Zwischen den Bäumen bemerken wir schon das Stadttheater, das im Winter seither Vorstellungen des Meininger Theaters und vielen ausgezeichneten Konzerten von der Meininger Kapelle den Raum gab. Das Theater, eines der ältesten in Thüringen, ist ehemals ein Ballhaus (Jeu de Paume) gewesen und vom dritten Herzog von Hildburghausen zu einem Schauspielhaus umgestaltet worden. Vom Helenenplatz vor dem Theater haben wir einen schönen Blick auf die Christuskirche. Wir gehen auf sie zu und wenden uns an der Sachsenburg, dem ehemaligen Orangeriegebäude, links dem Schloss zu. Da bietet sich uns wieder ein malerisches Bild. Hier sind noch drei alte Türme und die ganz wuchtige Stadtmauer erhalten.
Außer den Hauptstraßen, die wir so durchwandert haben, nenne ich noch die Schlossgasse, welche die Verbindung bildet zwischen dem Schloss und der Christuskirche und durch zwei alte enge Gässchen, das Hofbüttnersgässchen und das Papendieks Gässchen Zugänge zum Markt und der Oberen Marktstraße haben. Auf der nördlichen Seite der Oberen Marktstraße, dem Alten Technikum gegenüber, beginnt die Knappengasse, deren Name an die Tuchknappen und das im Mittelalter stark betriebene Gewerbe der Weberei erinnert. Von der Knappengasse zweigen links die Untere und Obere Braugasse nach Westen ab. Auch das Braugewerbe spielte in alten Zeiten hier eine wichtige Rolle. Die beiden Gassen enden auf dem Salzmarkt, der aber seinen alten Namen eingebüßt hat und schon seit längerer Zeit mit seiner Fortsetzung, dem Häfenmarkt, gemeinschaftlich, diese letztere Benennung führt.
Bis zur ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts lag die Stadt eng geschlossen auf dem Raum der Altstadt zusammen. Jedoch von der zweiten Hälfte des genannten Jahrhunderts an bis auf den heutigen Tag hat sie sich nach allen Seiten hin ausgedehnt. Nach dem Weltkrieg noch wurde zur Beseitigung der Wohnungsnot im Nordosten der Stadt, im Goldbachtal, eine Siedlung geschaffen, die zwei Reihen von Häusern mit insgesamt zwanzig Neubauten umfasst. Gärten lassen um sie reichlichen Raum und leiten in die freien Wiesen als die letzten Ausläufer der Stadt über. Auch als Ausgangspunkt für lohnende Ausflüge ist Hildburghausen nicht gering einzuschätzen. Sehr schöne Wanderungen lassen sich in dem ausgedehnten Waldgebiet nördlich der Stadt ausführen. Man gelangt bequem in den Wald durch die schattigen Römersbachanlagen. Oberhalb eines von üppigem Baumwuchs umgebenen Teichs finden wir den Denkstein, den der Gymnasialturnkranz seinen im Weltkrieg gefallenen Mitgliedern errichtet hat. Man genießt von dort eine liebliche Aussicht auf Häselrieth mit seinem waldigen Hintergrund.
Vom Römersbach führen Wege nach dem Eichertsbrunnen, wo wir uns an kristallklarem Quellwasser laben können, und auch zur Ottilienkapelle. Wenn wir diese aufsuchen, schreiten wir vorbei an einer uralten Fichte mit weit ausladenden Ästen. Wie viele Menschengeschlechter mögen an ihr vorbeigewandert sein, wie viel mag ihre unverwüstliche Kraft noch überdauern? Die Ottilienkapelle liegt auf einer weithin sichtbaren Bergkuppe und ist die Ruine einer früheren Wallfahrtskapelle. Ein anderer Weg bringt uns vom Römersbach nach dem lieblich im Tal eingebetteten Dambach. Hier kann sich das Auge an grünen Wiesen und waldigen Berglehnen weiden.
Auf verschiedenen Wegen erreichbar ist das östlich von der Schleusinger Straße gelegene Jägerhäuschen und der Hähnlesbrunnen. Dieser hat seinen Namen von einem uralten Grenzstein, auf dem auf der einen Seite das sächsische, auf der anderen das hennebergische Wappen (die Henne) angebracht ist. Das unter einem Felsen hervorsprudelnde Wasser ist die Quelle des Dambachs. Die Nachbarstadt Schleusingen ist wegen der hochragenden Bertholdsburg, der ehemaligen Residenz der Grafen von Henneberg-Schleusingen und einiger Grabdenkmäler von Henneberger Grafen in der Kirche eines Besuches wert. Über die Wiedersbacher Straße gelangt man zum Heckenbühl, der einen entzückenden Blick auf den Thüringer Wald bietet. Von dort kann man zurückkehren über Weitersroda – Hildburghausen. Auf der Südseite erheben sich der Häselriether Berg, der Stadtberg und der Krautberg, von denen jeder seinen besonderen Reiz hat. Auf dem Stadtberg sind das Grab der Dunkelgräfin und das Denkmal des Gymnasialsingkranzes zu besichtigen. Von letzterem hat der Besucher einen wundervollen Blick auf das Obere Werratal mit dem Bleß bei Eisfeld als Hintergrund. Auf dem Bismarckturm, der auf dem Gipfel steht, tut sich einem eine herrliche Rundsicht auf. Bei gutem Wetter sieht man im Norden den Thüringer Wald mit Dolmar, Großem Hermannsberg, Rupberg, Beerberg, Schneekopf, Adlersberg und Großem Finsterberg. Im Osten steigen der Simmersberg und der Bleßberg auf und bei sehr guten Lichtverhältnissen zeigt sich auch das Fichtelgebirge. Im Süden grüßt das Frankenland mit der Veste Coburg über den Wald herüber, ferner noch Vierzehnheiligen, der Staffelberg, die Veste Heldburg, die Ruine Straufhain, der Bramberg und der Steigerwald. Den Westen beherrschen die wuchtigen beiden Gleichberge. Hinter ihnen zeigt sich in zartem Dunst eine Reihe von Rhönbergen, darunter die Wasserkuppe.
Weitere Wanderungen kann man nach dem Brünnhof, wo herrliche alte Fichten von beträchtlicher Höhe zu bewundern sind, und dem Reuriether Felsen unternehmen, der eine überraschende Aussicht auf das tief unter dem Beschauer liegende Werratal bietet. Es lässt sich daran auch ein Besuch des Iltenbergs mit dem Eingefallenen Berg bei Themar anschließen. Empfehlenswert ist auch ein Gang über die Stirn bei Birkenfeld, die Heßberger und Veilsdorfer Leite nach Veilsdorf. Dem Dorf Veilsdorf liegt die Porzellanfabrik Kloster Veilsdorf gegenüber, die von einem Hildburghäuser Prinzen 1765 an Stelle des 1189 gegründeten und im Bauernkrieg zerstörten Benediktinerklosters neu errichtet worden ist.
Wer die Aussicht vom Stadtberg genossen hat, der wird das lebhafte Verlangen verspüren, der Veste Heldburg und der Ruine Straufhain einen Besuch abzustatten, besonders die erstere mit ihrer glänzenden Aussicht vom Altan, ihrem entzückenden Festungshof, in dem besonders der Französische Bau das Auge fesselt, und ihren vom Herzog Georg II. wiederhergestellten Innenräumen sollte kein Besucher Hildburghausens versäumen, sich anzusehen. Eine ganz besondere Anziehungskraft haben endlich die wuchtigen Kuppen der beiden Gleichberge. Der Kleine Gleichberg oder die Steinsburg zeichnet sich durch schöne Aussicht und durch die prähistorischen Anlagen, die man da noch in großem Umfang findet. Die Steinsburg war eine Burg der Kelten, die sich, wie Prof. Dr. Götze annimmt, gegen die andrängenden Germanen wehrten. Auf dem Großen Gleichberg betreibt die Stadt Römhild einen bedeutenden Bastaltbruch. Leicht ist von den Gleichbergen auch Römhild zu erreichen, wo die Kirche ein großes Kunstwerk Peter Vischers bewahrt. Es ist ein Sarkophag aus Erz, dessen Deckel die in Hochrelief fein ausgeführten Gestalten Graf Hermanns IV. von Henneberg-Römhild und seiner Gemahlin Elisabeth trägt. Ein Ausflugsziel endlich gibt es noch, das gerade zu unserem Erinnerungsfest eine besondere Anziehungskraft hat: die über Grimmenthal leicht zu erreichende Ruine Henneberg, die Trümmer des alten Stammsitzes, von dem aus einst die Macht und der Glanz des berühmten Grafengeschlechtes ausging und Hildburghausen Stadtrechte erhielt. Der Leser der vorstehenden Zeilen wird zugestehen müssen, dass man von unserem Hildburghausen aus an Ausflügen eine reiche Auswahl hat.
Mit dem hier Gesagten sind noch lange nicht alle Möglichkeiten erschöpft, sich in der herrlichen Gottesnatur in unserer Umgebung zu erfreuen.
(Leicht bearbeitet. Der Text wurde von Prof. Dr. Pusch anlässlich der 600-Jahrfeier der Stadt Hildburghausen im Jahr 1924 verfasst.)