Nonne, Max
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Neurologe
Er ist ein Enkel von Dr. Carl Ludwig Nonne, der auch als „Pestalozzi Thüringens“ in die Geschichte eingegangen ist. Sein Vater Edwin Nonne ist Kaufmann und Fabrikant gewesen. Er erlebt als Kind die Begeisterung nach Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871. Der ehrgeizige Max Nonne legt am Johanneum 1879 in Hamburg als Primus das beste Abitur des Jahrgangs ab. Sein Großvater (mütterlicherseits) Dr. Karl Kraft hat die Bildungseinrichtung mehr als drei Jahrzehnte geleitet.
1895 ehelicht Nonne Henny Heye, aus einer angesehenen Fabrikantenfamilie stammend. Sie haben drei Töchter, der einzige Sohn ist 1918 an der Ostfront gefallen.
Nach dem Abitur studiert er die ersten vier Semester in Heidelberg und ist dort Mitglied der Hamburger Gesellschaft, ab Sommer 1881 in Freiburg, Berlin und wieder in Heidelberg. Er promoviert mit der Arbeit Über die Ätiologie der Pfortathrombose 1884 zum Dr. med. mit summa cum laude. Er arbeitet als Assistenzarzt in Heidelberg, unternimmt eine wissenschaftliche Besuchsreise nach Frankreich. Er lässt sich 1889 als praktischer Arzt und Spezialarzt für Nervenkrankheiten am Krankenhaus Hamburg-Eppendorf nieder. 1890 wird er zum Chefarzt der Inneren Abteilung ernannt und wird 1896 auch Leiter der 2. Inneren Abteilung (die spätere Neurologische Klinik), in der er bis zu seiner Emeritierung verbleibt. Er baut die Klinik als Universitätsklinik aus (1919 Gründung der Universität Hamburg), die zu einem internationalen Zentrum der Nervenheilkunde wird. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass sich die Neurologie zu einer selbstständigen Disziplin entwickelt. 1913 wird ihm der Titel eines Titularprofessors verliehen, 1925 Umwandlung in eine planmäßige Ordentliche Professur. Er genießt international einen hohen Ruf, unternimmt in Europa, Südamerika und in den USA Vortragsreisen.
Als Consiliarus ist er im Frühjahr und Frühsommer 1923 in zwei (geheimen) Missionen an das Krankenbett des Schöpfers des Sowjetreiches, Wladimir Iljitsch Lenin, gerufen worden. - 1931 hat er die Eröffnungssitzung des I. Internationalen Neurologen-Kongresses in Bern geleitet. – Er fällt im Dritten Reich der nationalsozialistischen „Verjüngung“ des Lehrkörpers zum Opfer und muss aus dem Dienst scheiden.
Hauptarbeitsgebiet ist die Neurolues, die Syphilis des Nervensystems, gewesen. Frühzeitig hat er die Bedeutung des Liquorbefundes für die Diagnostik der syphilitischen und anderer organischer Nervenkrankheiten (Nonne-Apelt-[Schumm-]Reaktion) erkannt. Er hat Studien zur Pathogenese der funikulären Myelose erarbeitet, die er unter die degenerativen und nichtentzündlichen Krankheiten eingeordnet hat. Er revidiert und präzisiert den ungenauen Begriff der Myelitis. Intensiv untersucht er Diagnosen und Therapien von Rückenmarkstumoren. Fundamental sind seine Forschungen zur Rückenmarkskompression (Nonne-Froin-Syndrom). Er forscht maßgeblich an der Erkennung einer erblichen Form der Kleinhirnataxie (Nonne-Marie-Krankheit) und eines erblichen trophischen Ödems der Extremitäten (Nonne-Milroy-Meige-Syndrom). Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Multiple Sklerose und die Schädigungen des Nervensystems durch Alkohol gewesen.
Er ist Mitglied und Ehrenmitglied einer Vielzahl internationaler Gesellschaften und Träger hoher medizinischer Auszeichnungen.
Umstritten ist seine Haltung zur „Vernichtung völlig wertloser geistig Toter“. Er schreibt in einer Denkschrift: „Es sollte aber vernünftiger Aufklärung die Aufgabe gestellt werden, die Öffentlichkeit zu der Auffassung heranreifen zu lassen, daß die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Roheit, sondern ein erlaubter, nützlicher Akt ist.“
Werke
- Syphilis und Nervensystem. Ein Handbuch. – 1902 (englisch 1913, spanisch 1924/25)
- Therapeut. Erfahrungen an d. Kriegsneurosen in den Jahren 1914 – 1918. In: K. Bonhoeffer (Hg.), Handbuch der Ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege. – 1914/1918 IV
- Geistes- und Nervenkrankheiten. – 1922, S. 102 – 121; Der Pseudotumor cerebri. In: Neue deutsche Chirurgie, XII
- Die allgemeine Chirurgie der Gehirnkrankheiten, Teil II 1914, S. 105 – 152; Stellung u. Aufgaben d. Arztes in d. Behandlung d. Alkoholismus, Üb. Trinkerheilstätten, 1904; Anfang u. Ziel meines Lebens, Erinnerungen, 1971, 31976; zahlreiche Aufss. (u. a.: Sonderdruckslg. in d. Bibl. d. Ärztl. Ver. Hamburg). – Mithg.: Dt. Zs. f. Nervenheilkde. (1925–44); – Mitarb.: H. Oppenheim, Lehrb. d. Nervenkrankheiten f. Ärzte u. Studierende, 1894, 71923
In seiner Autobiografie
Anfang und Ziel meines Lebens
schreibt er auch Erinnerungen an Hildburghausen und an die Familie Nonne auf.
Erinnerungen von Max Nonne
Mein Vater hatte wenig Einfluss auf mich, da er mich bei kleineren Versehen nicht selten mit Schlägen strafte. Er war ein streng rechtlich denkender Mann, aufgewachsen als einer von zehn Geschwistern, als Sohn des im Herzogtum Sachsen-Hildburghausen-Meiningen berühmten Dr. Ludwig Nonne. Dieser Mann, der seinen Vater, herzoglicher Rat im Herzogtum Hildburghausen, früh verloren hatte und der aufgewachsen war bei seiner energischen, klugen Mutter, im Herzogtum allgemein bekannt als „Frau Rätin“, war schon als heranwachsender Knabe wegen seiner sprühenden Begabung aufgefallen. Schon als 25-Jähriger trat er in Hildburghausen 1810 für die damals neuen Prinzipien der Pestalozzi-Erziehungs-Methode ein, die er beim Meister selbst studiert hatte. Er gründete in Hildburghausen das Lehrerseminar und ein „Institut für Töchter gebildeter Stände“. Als 24-Jähriger lehrte er, aus der Schweiz zurückgekehrt, begeistert für für Pestalozzis Lehren und Methoden, die Lehrer Meiningen-Hildburghausens, die von dem jugendlichen Mann eifrig lernten. Er wurde dort oberster Geistlicher des Herzogtums und Oberpfarrer der Stadtkirche – er war ein Arbeiter allerersten Ranges. Er gründete die „Dorfzeitung“, die ursprünglich für das Thüringer Landvolk gedacht war. In echt volkstümlicher Sprache schrieb der Sohn seines Ländchens und Kenner der Seele seiner Landsleute die Zeitung. Diese verbreitete sich schnell und wurde in kurzer Zeit das verbreitetste und beliebteste Volksblatt nicht nur des Herzogtums Hildburghausen, sondern auch der anderen Thüringer Ländchen. Der Name Nonne war in Thüringen durch die „Dorfzeitung“ in aller Munde.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass der spätere Verlag Dr. L. Nonne Erben eine heute noch erscheinende medizinische Wochenschrift „Fortschritte der Medizin“ verlegt hat, die 1882 von Robert Koch und Friedländer gegründet wurde.
Nach: Max Nonne: Anfang und Ziel meines Lebens. Erinnerungen. – Hans Christians Verlag, Hamburg, 1971, S. 6 f.
Im Herbst 1937 führte uns unser Weg nach Hildburghausen, wo wir meine liebe Schwester Clara noch einmal besuchen wollten. Zu ihrem 80. Geburtstage hatten wir nicht kommen können, weil Schwester Julie Kneisel in Spandau kurz vorher in ihrem 82. Lebensjahr gestorben war und da somit die Trauer um die von ihr sehr geliebte Schwester ihr alles „Festliche“ noch verbot. Wir verlebten eineinhalb äußerst behagliche, wohltuende Tage bei dieser Frau, die von einer ganz außergewöhnlichen Herzensgüte und Selbstlosigkeit während ihres ganzen Lebens war, die die einzige ist, die noch einen Überblick hatte über die weitverzeigte Nachkommenschaft unseres Großvaters Dr. Ludwig Nonne, und die immer geholfen hat, wo sie helfen konnte. Meine Schwester hatte ihren Mann verhältnismäßig früh – wenige Jahre nach der silbernen Hochzeit – verloren, sie hat ihren einzigen, überaus begabten Sohn in seinem 22. Lebensjahr verloren, sie hatte erst vor kurzem den Mann ihrer zweiten Tochter – auch viel zu früh, erst 60 Jahre alt – verloren. Dabei hatte sie ihr warmes Interesse für ihre Geschwister und deren Kinder nicht verloren, lebte ganz in ihren Kindern und Enkeln, führte ihren kleinen Haushalt fast allein in dem alten „Hoheitshaus“ und korrespondierte nach allen Seiten. Sie war eine richtige Chronik vom Hildburghausen der letzten 60 Jahre; denn schon als 16-jähriges junges Mädchen war sie bei Onkel und Tante Alwin Nonne dort eingezogen, lernte deren ältesten Sohn Ferdinand kennen, mit dem sie sich mit 19 Jahren verheiratet. Von der großen Familie Nonne – mehrere Söhne und Töchter von Großvater Nonne hatten in Hildburghausen mit ihren zahlreichen Kindern gelebt – war sie jetzt die einzig Übriggebliebene, alle anderen waren in Deutschland, im Ausland, in Übersee verstreut. – Eine schöne Autofahrt nach der Veste Coburg, die ich noch nie besuchte, und nach der Veste Heldburg, die ich auch noch nicht kannte, führte uns durch die liebliche Landschaft, die in außergewöhnlich bunter Herbstpracht prangte.“
Nach: Max Nonne: Anfang und Ziel meines Lebens. Erinnerungen. – Hans Christians Verlag, Hamburg, 1971, S. 252 f.